MOBILER KUNSTRAUM A.D.S.

ZENTRALE KÜNSTLERISCHER FORSCHUNG
EIN  – LANGZEITPROJEKT MACHT STATION IM CAMPUS ATTISHOLZ

FORSCHEN NACH DEM VERBLEIB DER SINNE

Kapitalismus und Industrialisierung


Unser Denken ist auf Erfolg ausgerichtet, und der wird meist mit Geld gleichgesetzt. Der Neoliberalismus sagt, alles ist zu jeder Zeit verfügbar; das macht frei. Der Kapitalismus sagt: mehr von allem. Die Folge: Wer nicht arbeitet, konsumiert, getreu den Spielregeln des Konsums. Doch bereits der Volksmund sagt, Geld allein mache nicht glücklich. Für die Begründung hat Sigmund Freud eine schöne Erklärung: Geld macht nicht glücklich, weil Geld kein Wunsch von Kindern ist. Das könnte bedeuten: verlieren wir in schulischen und beruflichen Tätigkeiten den Kontakt zu den – unseren – Wünschen als Kind, fehlt uns ein Stück zum Glücklich sein. Weil sich Kinderwünsche auf Inhalte richten, auf Verzauberung. Das ist das Gegenteil zu einer – unserer – Welt, in der Entzauberung herrscht und so im Prinzip kinderfeindlich ist.
Das heisst aber auch: feindlich gegenüber der Kindlichkeit in uns Erwachsenen (Ludwig Hasler). In Endes Unendlichen Geschichte ist die Kindliche Kaiserin Herrscherin über das gefährdete Phantasien – das Land, in dem nichts undenkbar und alles möglich ist. Genau dies ist es, was Kunst und künstlerisches Handeln für die Sinne so wertvoll macht: dieses unbegrenzte Denken, in dem alles möglich ist, eröffnet Zugänge zu ungeahnten Lösungen und Wegen. Die Identifikation mit dem eigenen Tun ist hierbei der entscheidende Faktor. Ergebnisoffene Prozesse und selbstgesteuertes Handeln sind der Schlüssel.

Der Campus-Attisholz – eine Heterotopie
Heterotopie (hetero-anders / topos-Ort) ist ein von Michel Foucault in der frühen Phase seiner Philosophie kurzzeitig verwendeter Begriff. Die Bezeichnung gilt für Anders-Orte, die in die Gesellschaft hineingezeichnet sind, jedoch nach eigenen Regeln funktionieren. Diese Räume oder auch Orte reflektieren in besonderer Weise gesellschaftliche Verhältnisse, indem sie sie repräsentieren, negieren oder umkehren.
Sowohl der mobile Kunstraum – Zentrale künstlerischer Forschung – als auch der
Campus können als Heterotopie gelesen werden. Die Zentrale für künstlerische Forschung und mobiler Kunstraum geniessen Gastrecht mitten im Campus Attisholz. Welch aufgeladener Ort. Inspiration. Kunst. Aufgestellte Leute. Offenheit. Neugier. Ein Andersort, eine Gegenwelt inmitten einer von Konsum und Markt beherrschten Gesellschaft. Ejn Ort, der die Sinne beherrscht, sie herausfordert. Ein stummer Zeitzeuge in Form einer verlassenen Fabrik als Kulisse für künstlerisches Tun. Ästhetik – Aisthesis – als philosophische Disziplin. Ich befasse mich mit dem Verbleib der Sinne, getrennt von Verstand und aussortiert aus unserem Alltag. Ein Schattendasein fristend als Urlaubswesen, Feierabendlustbarkeiten. Welches sind die Auswirkungen, wenn durch die Historie getrennten Sinne und Verstand wieder vereint werden? Wie wirkt sich die Trennung auf unser Selbstverständnis aus? Wie gehen wir mit dieser Entfremdung um? Und vor allem: mit welchen Strategien kann dagegen angegangen werden? Was, wenn Kunst sich einmischt?

Diese Fragen sind Leitfäden meiner künstlerischen Forschung.
Ein Fitnessstudio für die Sinne – als Gegenpol zum körperlichen Fitnesstraining und Ausschluss der Sinne vom Verstand – möchte einen Diskurs in Gange setzen. Spontane erste Begegnungen mit offenen und aufgestellten Menschen auf dem Campus führten zu kurzen Statements zum Thema. „Ja, die Sinne werden aus dem Alltag verdrängt“. „Die Menschen sollen nicht kritisch denken, sie sollen konsumieren“. „Entkörperlichung, Entseelung – ja schiere Entmenschlichung sind Folge dieser erzwungenen Verdrängung“. Ich nehme den Faden aus Neugier und Interesse und gehe mit ihm spazieren. Ein Gewebe wird sich während der nächsten Wochen verdichten, Löcher und Fallmaschen sind eingerechnet. In einem Rechercheverfahren gehe ich den Strukturen von Sinnesbetätigungen nach. Die Ergebnisse dieser Spurensuche versuche ich offen zu legen. Diese wachsende Sammlung liegt der künstlerischen Transformation zugrunde. Erinnerungen an Momente ergebnisoffenen Tuns sowie deren Verknüpfungen mit Wünschen und Sehnsüchten verdichten sich im Sinne einer Gegenwelt mit der unverstellten und spontanen Bildsprache von Kindern.

Von flüchtigen Wesen und selbstleuchtenden Pilzen


In ihrer Schrift Rhizom rufen Guattari/Deleuze: „Schlagt nicht Wurzeln, bildet Rhizome“
Nun sind die Sinne aber flüchtige Wesen, Schwer fassbar. Irrlichtergleich. Nicht zu kontrollieren. Was sich nicht kontrollieren lässt, macht Angst. Da ist es mit dem Verstand eine ganz andere Sache. Da kann man ganz leicht durch Kontrolle menschliche Wesen zu Erfüllungsgehilfen der eigenen Sache machen. Die Sinne jedoch sind untrennbar vom Verstand, auch wenn das anders behauptet wird.
Der Mensch kommt als ganzheitliches Wesen zur Welt. Die Steuerung der Entwicklung zielt auf den Verstand, die Sinne dagegen fristen ein Schattendasein. Selbststeuerung und ergebnisoffene Prozesse, wie sie dem zweckfreien Spiel innewohnen, wirken belebend auf die Sinne. Ein Gefühl von Zufriedenheit und Ganz-Sein, Ausgeglichenheit sind Zeichen lebendiger Sinne. Mit welchen Strategien lässt sich der Verstand überlisten? Wie können die Sinne das Steuer übernehmen, als kurzzeitige Ergänzung und erholsame Auszeit vom verstandesdominierten Alltag.

Kunst mischt sich ein. Will Leitfaden sein für den aktiven Gebrauch der Sinne. Ein Fitnessstudio für die Sinne! Freier Zugang zu selbstorientiertem und ergebnisoffenen Handeln als Sinnestraining, zweckfrei und sinn-stiftend!

Ein altes, verlassenes Fabrikareal. Übergrosse Schatten dominieren, auf den Innenhof treffen nur selten Sonnenstrahlen. Die schiere Masse der grauen Betonriesen wird einschüchternd. Undurchdringlich schwarze Fensterscheiben scheinen ein Geheimnis zu hüten. Warten die Kolosse auf ihr Wiedererwachen?

Rund um den Innenhof hier und da ein zaghaftes Leuchten von Farben. Die Kunst mischt sich ein in diese Tristesse, bringt hie und da eine Ecke zum Leuchten. Ein Tanz der Irrlichter, lockend, auftauchend und gleich wieder verschwindend, hinter dunkeln Fensterscheiben winkend.
Das Fest hat begonnen!


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